Zunächst verläuft die Geburt ganz normal. Das Köpfchen ist bereits draußen. Und dann kommt die Geburt zum Stillstand. Die Schulter des Babys ist hinter dem Schambein der Mutter eingeklemmt. Eine unerwartete Komplikation. Zum Glück kommt diese Schulterdystokie nur sehr selten vor, und doch muss eine Hebamme vorbereitet sein.
Das ist eines der Szenarien, die schon bald im Simulationszentrum am Schulzentrum für Gesundheitsberufe am Niederrhein SGN auf ganz besondere Weise trainiert werden können. Im neuen Simulationszentrum werden auf 250 Quadratmetern nicht nur die Hebammen des Eli und die Studierenden des neuen Studiengangs Hebammenwissenschaft auf ihr richtiges Verhalten in Notfallsituationen trainiert, erklärt die Pflegedienstleiterin der Mutter-Kind-Klinik Petra Coenen, „sondern auch Pflegekräfte und Mediziner, sowie Notfallsanitäter der Feuerwehr. Die Nachfrage geht weit über die Region hinaus und ist schon jetzt groß. Unter anderem möchte die Hochschule Köln kooperieren.“
Bewertet und unterstützt werden die Kursteilnehmer*innen von speziellen Instruktoren, „die in verglasten Kanzeln sitzen und damit einen perfekten Rundumblick haben, in den simulierten Kreißsaal, das typische Patientenzimmer oder den Schockraum. Zudem sind Deckenkameras und Mikrofone eingebaut. Über Monitore können Sie die simulierten Patienten steuern.“
Während des Trainings der medizinischen und organisatorischen Abläufe, sowie der in den Stresssituationen notwendigen Kommunikation, sind die Ausbilder nicht zu sehen. „Elementarer Bestandteil des Trainings ist die anschließende ausführliche Nachbesprechung mit den Teilnehmern, dem Instructor und den Mitarbeitern, die im Nebenraum als Zuschauer sitzen“, so Coenen.
Die `Patienten´ der Trainingsteilnehmer sind hochkomplexe Puppen von Erwachsenen, Kindern und Babys, bei denen der Ausbilder „Parameter wie den Blutdruck und andere Werte steuern kann. Die Situation verändert sich also wie in einem echten Notfall ständig“, erklärt Petra Coenen. Der Neugeborenen-Simulator beispielsweise sei so echt, dass er nicht nur blau anlaufen, sondern auch einen Herzstillstand und die Verschlechterung des Allgemeinzustands sehr real darstellen kann. Beckenendlagen seien ebenso darstellbar wie die Reanimation bei Kindernotfällen.
Das Zentrum wird mit modernster Medizintechnik ausgestattet. So kostet alleine die Babypuppe rund 50.000 Euro, der Geburtssimulator schlägt durchaus mit 80.000 Euro zu Buche. Hinzu kommen Simulationsmöglichkeiten im Rahmen von Virtual- oder Augmented-Reality.
Demnächst steht dann sogar ein kompletter Rettungswagen in einem Simulationsraum „An dem Fahrzeug wird der richtige Transport von Unfallopfern geübt, bzw. die Notfallübernahme zwischen Fahrzeug und Klinik“, erklärt Petra Coenen das Konzept. Noch ist das ungewöhnliche Übungsmodul nicht eingemauert, auch der Simulationstrakt ist noch nicht gebaut, „wir rechnen aber damit, dass noch in diesem Jahr mit dem Bau des Simulationszentrums begonnen wird.“
Das Simulationszentrum ist Teil eines größeren Projekts, dem Ausbau von Ausbildungsplätzen, das vom Land Nordrhein-Westfalen gefördert wird. Damit soll die Zahl der Ausbildungsplätze im Schulungszentrum SGN von derzeit 250 auf 400 Stellen aufgestockt werden. Etwas mehr als drei Millionen Euro steuert das Land aus einem 100 Millionen Euro schweren Fördertopf für den Ausbau der Pflegeausbildung bei. Hinzu kommt das von den Städtischen Kliniken getragene Simulationszentrum.
Am Schulungszentrum sind die Städtischen Kliniken mit 51 Prozent, das Evangelische Krankenhaus Bethesda mit 44 Prozent und die Sozial-Holding der Stadt mit fünf Prozent, beteiligt. „Wie wichtig top ausgebildete Mediziner und Pfleger sind, ist uns als Gesellschaft während der Corona-Pandemie noch einmal sehr deutlich vor Augen geführt worden. Jeder Euro, den wir in ihre zeitgemäße Ausbildung investieren, ist gut angelegt“, sagt Bernd Meisterling-Riecks, Vorsitzender des Aufsichtsrats.
Da kann Petra Coenen nur zustimmen. Studien zeigten, dass sich die Wirkung eines solchen Zentrums nicht auf die Qualität der medizinischen Leistung beschränkt. „Die Zahlen zeigen, dass sich Mitarbeiter weniger gestresst fühlen, seltener krank sind und es weniger Kündigungen gibt“, so die Pflegedienstleiterin. Nicht zuletzt ist das Simulationszentrum als Teil der neuen Ausbildungsstätte für die Städtischen Kliniken ein wichtiges Argument im Kampf um die besten Köpfe. „Wir wollen die besten Ärzte und Pfleger für unsere Patientinnen und Patienten haben. Die gewinnen wir nur, wenn wir ihnen eine entsprechende Arbeitsumgebung schaffen und Sicherheit für ihre Arbeit am Patienten geben. Dazu wird das Simulationszentrum beitragen“, sagt Geschäftsführer Thorsten Celary.
Beim Nachwuchs soll nicht nur kurzfristiges Interesse für die Pflegeberufe geweckt werden. Es geht vielmehr darum, sie über die Dauer der Ausbildung sowie danach im Beruf zu halten. Dafür müsse die Ausbildung jedoch durch eine moderne Ausstattung für junge Menschen attraktiver gemacht werden. „Dazu gehören zum Beispiel Tablets und W-Lan, damit junge Leute auch digital arbeiten können“, sagt Sabine Mansmann, Leiterin des SGN. Wie hoch der Bedarf an qualifiziertem Pflegepersonal in Krankenhäusern und Senioreneinrichtungen ist, sei nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie ins öffentliche Bewusstsein gerückt.
Über die vergangenen Jahrzehnte sei die medizinische und die Ausbildungskompetenz der Städtischen Kliniken kontinuierlich gewachsen, so der Ärztliche Direktor Dr. Harald Lehnen: „Wir sind schon lange Akademisches Lehrkrankenhaus. Früher für die Uni Aachen. Seit ein paar Jahren nun schon für die Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf.“
Auch auf anderem Gebiet wächst die medizinische und pflegerische Kompetenz des „Eli“. Der Bedarf an akademisch geschulten Hebammen habe dabei über die Jahre zugenommen, so Lehnen: „Nehmen Sie nur die Städtischen Kliniken: wir hatten im vergangenen Jahr 3.193 Geburten mit etwa 3.300 Kindern. Damit gehören wir unter den bundesweit 642 Geburtskliniken zu den TOP 20.“ Dabei habe die Zahl der Zwillingsgeburten erneut zugenommen: „Sie verlangen stets ein besonderes Augenmerk, ebenso wie die Früh- und Risikogeburten. Wir können das leisten, weil wir bereits seit vielen Jahren ein vom Gesetzgeber anerkanntes Perinatalzentrum Level 1 sind.“
Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, hat der Ärztliche Direktor in Zusammenarbeit mit dem damaligen Präsidenten der Hochschule Niederrhein, Prof. Dr. Hans-Hennig von Grünberg, den dualen Bachelor Studiengang Angewandte Hebammenwissenschaft vor gut zwei Jahren initial auf den Weg gebracht: „Ab dem kommenden Wintersemester geht es los.“ Der theoretische Teil werde in Krefeld vermittelt, die Praxis an den Städtischen Kliniken: „Für eine Übergangszeit auch an Hebammenschulen in Wuppertal und Duisburg, sowie auch an einigen wenigen kleineren Häusern.“ Dort vor allem, um auch die Thematik der ambulanten Geburt aufzugreifen: „In anderen Ländern ist die akademische Ausbildung für Hebammen seit vielen Jahren selbstverständlich. Um Frauen bei der Geburt optimal unterstützen zu können, sind zwei Felder gleich wichtig: das theoretische Wissen und die Erfahrung der Praxis. Beides verknüpft der neue Studiengang optimal und hinzu kommen bald auch noch die Möglichkeiten des Simulationszentrums“, so Dr. Harald Lehnen.
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